Die "Einweihung" der Raketenstation Florida

von Willy Ley, G.f.W. (Gesellschaft für Weltraumforschung), geschrieben 1950...
 
 

Vor etwa zwei Jahren sagte mir jemand auf dem Raketenprüffeld White Sands in Neumexiko: "Wissen Sie, es wird hier etwas eng. Wenn die neuen Modelle fertig sind, werden wir uns kaum rühren können." Angesichts der Tatsache, daß diese Unterhaltung auf einem Platze stattfand, der sich 200 km in nord-südlicher Richtung und über 60 km in west-östlicher Richtung erstreckt, klang diese Bemerkung fast wie ein Witz. Angesichts der anderen Tatsache, daß man in White Sands noch nicht einmal eine V2-Rakete auf größte horizontale Reichweite abfeuern konnte, war es aber eine vollkommen berechtigte Feststellung. Und es wurde schon damals darüber nachgedacht, wo man wohl ein größeres Versuchsfeld finden könnte.

Um diese Zeit hatten die Australier bereits angekündigt, daß sie in Südaustralien ein Raketenprüffeld anlegen würden. Es befindet sich jetzt in Woomera, nicht allzuweit von der etwas größeren Stadt Pimba, nördlich von Adelaide. Von Woomera aus hat man in nordwestlicher Richtung eine Schußstrecke von mehr als 4300 km zur Verfügung, mit der unbewohnten Weihnachtsinsel als Zielpunkt. Es wurde gleichzeitig angekündigt, daß man diese Station den Amerikanern auf Wunsch zu Versuchen zur Verfügung stellen würde. In Amerika war man an sich für die freundschaftliche Äußerung dankbar, aber der praktische Wert des Angebots war recht gering. Einige Wissenschaftler amüsierten sich eines Abends in New York damit, sich das einmal praktisch auszumalen: "Also der Raketenmotor wird dann in New Yersey gebaut, die Instrumente in Baltimore und die Rakete selbst in Santa Monica in Kalifiornien. Das wird dann alles von Washington aus koordiniert, und dann haben wir einerseits ein Komitee, das mit der Marine die Verbindung aufrecht erhält, um das Ganze zu transportieren, und andererseits ein Komitee für die internationalen Beziehungen sowohl mit England als auch mit der australischen Regierung. Für den Fall, daß etwas nicht funktioniert, braucht dann nur die Marine beauftragt werden, die Rakete nach Kalifornien zurückzubringen usw. usw."

Die offiziellen Stellen müssen eine ähnliche Diskussion geführt haben, denn es wurde bald die Errichtung einer Raketenstation in Florida beschlossen, mit dem Atlantischen Ozean als Schußfeld. Der Platz, den man aussuchte, liegt auf der Halbinsel Florida am Banana River, nicht weit von der Ortschaft Cocoa. Geographisch ist es das Kap Canaveral. Wenn man von Kap Canaveral in etwa südöstlicher Richtung eine Linie zieht, so überschneidet diese Linie sämtliche Inseln der Bahama-Gruppe, mit Ausnahme der am weitesten vom Festland abgelegenden Insel San Salvador. Hinter den Inseln liegt dann auf der gleichen Linie etwa 7500 km offener Ozean. Die Bahamas gehören zwar zu England, aber die internationalen Komplikationen bestanden lediglich darin, eine Erlaubnis zur Errichtung von Beobachtungsstationen auf den Inseln zu erhalten.

Wahrscheinlich stehen im Augenblick diese Beobachtungsstationen noch auf dem Papier, aber die Raketenstation am Kap Canaveral ist kürzlich durch zwei gut gelungene Versuche gewissermaßen "eingeweiht" worden, wie sich das so für eine Raketenstation gehört.

Die Raketen waren vom Typ "Bumper", bestehend aus einer V2 als unterer und einer WAC-Corporal als oberer Stufe. Die erste Rakete dieses Typs wurde dadurch berühmt, daß ihre obere Stufe am 24. Februar 1949 eine Gipfelhöhe von etwa 400 km erreichte. "Bumper" Nr. 7 und 8 wurden als die ersten vom Kap Canaveral abzufeuernden Raketen bestimmt. Gleichzeitig sollte etwas vollkommen Neues ausprobiert werden. In White Sands hatte man möglichst hohe Steighöhen angestrebt. In Florida wollte man nicht etwa größte Reichweiten erzielen (das wären für diese Raketen-Kombination bei einem Erhebungswinkel von 45° etwa 800 km), sondern man bereitete einen "Flachbahnschuß" - fast einen Horizontalflug - vor. Auf diese Weise wollte man Messungen durchführen, die in einem Windkanal unmöglich sind. Die Rakete sollte sich wie immer senkrecht abheben, sollte dann aber so bald wie möglich in der Vertikalen um 90° gedreht werden.

Der erste Versuch fand am 19. Juli 1950 statt; aber es war einer von den Tagen, an denen alles schief geht. Am Vormittag war man startbereit und mußte dann wenige Minuten vor der Zündung alles abblasen, da eines der Flugzeuge, die die Schiffe in der Schußrichtung warnen sollten, eine unvorhergesehene Landung durchführen mußte. Am Nachmittag war wieder alles fertig, aber im letzten Augenblick stellte sich heraus, daß ein Hilfsgerät nicht funktionierte. Der Fehler wurde behoben, und dann schien alles programmgemäß vonstatten zu gehen. Der Motor der V2 zündete und die Turbine wurde angelassen. Vor Anlassen der Turbine liefert der Motor der V2 einen Rückstoß von etwa 7 Tonnen, wenn dann die Turbine die Pumpen betätigt und die Brennstoffe unter Druck eingepumpt werden, erhöht sich der Rückstoß auf 27 Tonnen. Die Turbine wurde also angelassen . . . . . und nichts geschah. Die Rakete brannte einfach weiter, ohne sich zu rühren. Einer der Ingenieure schrie: "The missile does not lift" ("Rakete hebt sich nicht ab") und Oberst Harold R. Turner, der von White Sands herübergeflogen war, befahl, die Nebenventile zu schließen. Er nahm an, daß sich das Hauptventil nicht geöffnet hatte - eine Annhame, die durch die spätere Untersuchung bestätigt wurde. An diesem Tag blieb dann nur noch übrig, die Brennstoffe wieder auszufüllen und die in der Rakete angebrachten Sprengladungen herauszunehmen.

Am 24. Juli wurde der Versuch dann wiederholt. Keine Notlandung störte das Programm, alle Ventile funktionierten und die Rakete hob sich senkrecht in die Luft. Einige Sekunden später brach sie durch einen hohen Schleier von Zirruswolken. In 16 km Höhe wurde sie langsam in die Horizontalbahn eingelenkt, und 80 Sekunden nach dem Start wurde die zweite Stufe, die WAC-Corporal, gezündet. Die sich langsam senkende V2 wurde, als sie in 5 km Höhe angekommen war, durch Fernzündung der Sprengladungen zerstört, so daß etwa 80 km von er Abschußstelle entfernt nur verhältnismäßig kleine Bruchstücke ins Wasser fielen. Die WAC-Corporal muß etwa 300 km vom Kap Canaveral ins Wasser gefallen sein.

Am 29. Juli wurde dann die nächste Zweistufenrakete abgefeuert. Ganz im Gegensatz zum ersten Versuch ging alles glatt. Die Rakete funktionierte ausgezeichnet, die Radargeräte konnten sie ohne Schwierigkeiten verfolgen, und die Fernmeßgeräte zeichneten die gefundenen Werte auf. Damit begann die Raketenversuchsstelle am Kap Canaveral ihre Tätigkeit.
 
 

aus: WELTRAUMFAHRT, Heft 5 / 1950 < Home